Wenn dem Fell etwas fehlt - unvollständiges Fell

Bolonka mit einem Fell, das nicht dem Standard entspricht.

Bolonka mit einem Fell, das dem Standard entspricht.


Das unvollständige Fell (incomplete coat, kurz IC) ist eine Erscheinung des Fells, die - berücksichtigt man die Ursache - unter den sachlich falschen Begriffen Kurzhaar oder Stockhaar bekannt wurde.

Betrachtet man lediglich das sichtbare Ergebnis (den Phänotyp) und den Genotypen ohne den Vergleich zum vom Rassestandard geforderten Fell anzustellen, ist es ein Fell, das man korrekt als Langhaar bzw. Langstockhaar bezeichnet. Es ist kürzer als beim Bolonka zwetna vom Standard verlangt wird und zeigt u. a. keine Gesichtsbehaarung. Die Ursache für dieses kürzere Fell ist das Fehlen einer Genmutation, deren phänotypische Ausprägung landläufig unter dem Begriff Furnishing zusammen gefasst wird.

Hin und wieder erleben Bolonkazüchter, dass in einem Wurf einer oder mehrere Welpen geboren werden, deren Fell sich spärlicher entwickelt als bei den anderen Welpen.

 

Anfangs bemerkt der Züchter dies nicht, denn ein Bolonka zwetna wird mit noch kurzem Haar geboren. Erst nach den ersten fünf bis sechs Wochen, wenn das Fellwachstum zunimmt, kann der Züchter langsam erkennen, dass die Vorderseiten der Beine weniger Behaarung zeigen als es bei anderen Welpen der Fall ist und vor allem, dass die typische Gesichtsbehaarung des Bolonka nicht zu sprießen beginnen möchte.

 

Mit zunehmender Zeit unterscheidet sich der aus der Art geschlagene Welpe mehr und mehr von seinen Geschwistern bzw. Welpen aus anderen Würfen. Ist der Welpe erwachsen geworden, hat man tatsächlich einen Hund vor sich, der äußerlich so gar nicht an einen Bolonka zwetna erinnert - denn auch für einen Bolonka gilt das Sprichwort: Kleider machen Leute.

 

ungelocktes, langhaariges Fell ohne Furnishing
Langhaar (ohne Furnishing)

So kann ein erwachsener Bolonka aussehen, wenn sein Haarkleid unvollständig ist.

Das Weniger an Fell offenbart das, was sich sonst unter Haaren versteckt. Je nach Typ und Gestalt des jeweiligen Hundes, können Bolonka ohne Furnishing recht unterschiedlich in ihrer Erscheinung sein.

An den beiden Genorten für Langhaar und für Furnishing hat dieser Hund jeweils den Genotypen:

l/l = langhaarig

f/f = Wildtyp (kein Furnishing)

gelocktes, langhaariges Fell mit Furnishing
Langhaar mit Furnishing

Das gewünschte Fell eines ungeschnittenen, erwachsenen Bolonka.

Der Hund in diesem Beispiel zeigt zusätzlich recht ausgeprägte, große Locken wie es der Rassestandard als Ideal beschreibt.

An den beiden Genorten für Langhaar und für Furnishing hat dieser Hund jeweils den Genotypen:

l/l = langhaarig

F/f oder F/F = furnished


Doch was ist hier geschehen?

Eigentlich nichts Dramatisches. Der Welpe mit dem spärlicheren Fell ist weder krank noch ein Mischling, sondern er hat lediglich eine andere Fellvariante - er ist ein Hund, der nur langhaarig ist oder anders ausgedrückt, er ist ein Langhaar ohne Furnishing. Das ist eigentlich genauso wenig aufregend wie schwarze und braune Welpen im Wurf zu haben. Wenn nicht ... ja, ... wenn nicht der Rassestandard wäre, der beim Bolonka zwetna eine weitere Fellvariante als die Variante "welliges oder gelocktes Langhaar mit Furnishings" nicht zulässt.

Das bedeutet, dass dieser Welpe zwar ein reinrassiger Bolonka zwetna ist, dem auch ordnungsgemäße Papiere zustehen, er aber dem Standard nicht entspricht.

 

Als Liebhaberhund ist ein Bolonka mit unvollständigem Haarkleid ebenso wertvoll wie ein Bolonka mit standardgemäßem Fell und ich bitte zu bedenken, dass ein Rassestandard nur ein von einer Gruppe von Menschen festgelegtes Ideal für das Aussehen einer Rasse darstellt. Bei der einen Rasse kamen die Menschen überein, dass mehrere Fellvarianten zulässig sind, bei der anderen darf es eben nur eine einzige Fellvariante sein.

 

Warum hat dieser Bolonka ein anderes Fell?

In der Vergangenheit wurden solche aus der Art geschlagenen Hunde aufgrund mangelnder genetischer Kenntnisse sowie fehlender Erfahrung bzgl. der gezielten Zucht von verschiedenen Fellvarianten irrtümlicher Weise als Kurzhaar-Bolonka oder Stockhaar-Bolonka bezeichnet.

Diese Bezeichnungen führen auf dem Weg zu einer Erklärung in die falsche Richtung, denn es handelt sich weder phäno- noch genotypisch um Kurzhaar noch ist Stockhaarigkeit der Grund für das kürzere Fell ohne Gesichtsbehaarung.

 

Wie bereits oben erwähnt, handelt es sich tatsächlich um einen Bolonka zwetna, der nur langhaarig ist und dem das Furnishing phäno- und genotypisch fehlt.

Seinem Fell fehlt also nur etwas - nämlich die Gesichtsbehaarung (Bart- und Augenbrauen/Pony), die auch auch vorn lang behaarten Beine, Felllänge insgesamt und der ausbleibende saisonale Fellwechsel. Man kann auch sagen, das Fell ist bezogen auf den Rassestandard nicht vollständig.

Dieses Phänomen des unvollständigen Fells existiert auch bei anderen Rassen, deren Haarkleid gleich aufgebaut ist, wie z. B. dem Havaneser, dem Shih Tzu, dem Schwarzen Russischen Terrier oder dem Portugiesischen Wasserhund.

Bei letzterer Rasse spricht man von unzulässigem Fell (improper coat, kurz IC), wenn das Furnishing fehlt. Unzulässig, weil es gemäß des Rassestandards eines PW nicht zulässig ist.

In wiederum anderen Rassen "spielt" man gewollt mit dem Langhaar mit und ohne Furnishing, indem mehrere Fellvarianten vom Standard zugelassen sind. Ein schönes Beispiel ist hier der Elo.

 

Wie ist unvollständiges Fell genetisch zu erklären?

Gerade bei den Bolonka zwetna, deren Fell unvollständig ist, kommt die besondere Rolle des Furnishing-Gens zutage.

Das Langhaar-Allel ist ein autosomal rezessives Allel. Das Allel wird mit dem Kleinbuchstaben l symbolisiert. Es muss doppelt (homozygot) vorliegen, um Langhaarigkeit zu erzeugen (Genotyp l/l). Das bedeutet gleichzeitig, dass ein Langhaar-Hund auch nur das Langhaar-Allel und nicht das Allel für Kurzhaarigkeit (Symbol L) vererben kann.

Das Furnishing-Allel hingegen ist ein autosomal dominantes Allel (Allelsymbol F), womit das zweite Allel, das ein Hund an diesem Genort besitzt, ebenfalls das Furnishing-Allel sein kann, aber nicht sein muss.

Trotz vollständigem, perfektem und standardgemäßem Fell kann ein Bolonka verdeckt Genträger für das normale Wildtypallel (Allelsymbol f) sein - er ist dann lediglich heterozygot (mischerbig) für Furnishing (Genotyp F/f).

Werden zufällig zwei Bolonka miteinander verpaart, die beide Träger des Wildtypallels f sind, fallen in deren Wurf rein rechnerisch 25% Welpen mit unvollständigem Fell (also Langhaar ohne Furnishing), 50% Welpen, die wiederum selbst verdeckte Träger des Wildtypallels f sind und nur 25% Welpen, die homozygot (reinerbig) für Furnishing sind.

 

Weshalb ist das normale Wildtypallel am Genort für Furnishing noch in der Rasse vertreten?

Neue Rassen werden über Kreuzungen älterer Rassen schrittweise erzüchtet. Auch der Bolonka zwetna als vergleichweise junge Rasse ist auf diese Weise erschaffen worden. Um aus den weißen Bichons farbige Schoßhunde zu erhalten, mussten Fremdrassen eingekreuzt werden. Auch in der jüngeren Vergangenheit wurde dies noch praktiziert, um die Farbe zu stabilisieren oder den Typ in eine gewünschte Richtung zu lenken oder auch nur, um frisches Blut in die Rassepopulation zu bringen. Nicht jede der eingekreuzten Rassen war jedoch eine Langhaar-Rasse mit Furnishings. Kreuzt man allerdings Langhaar mit Furnishings mit Langhaar ohne Furnishings, setzt sich das dominante Furnishing-Allel durch. Die Nachzucht zeigt sich im typischen Bolonkafell, ist aber Träger des Wildtypallels f. Auf diesem Wege wurde das "normale", ursprüngliche Allel, der Wildtyp, über die Generationen verdeckt weiter vererbt, was ab und an ans Licht kommt, wenn zufällig zwei verdeckte Träger des Wildtypallels f verpaart werden. Den Elterntieren kann der Züchter dies nicht ansehen und die Ahnentafeln reichen regulär nicht weit genug, um solche Kreuzungen aufzudecken.

 

Ausmerzen lassen sich rezessive Allele nicht so leicht aus einer Zuchtpopulation. Das stetige Verpaaren von langhaarigen Hunden mit Furnishing verringert zwar in der Theorie die Wahrscheinlichkeit des Auftretens verdeckter Träger des Wildtypallels von Generation zu Generation, doch das ist wirklich nur reine Theorie.

Jedes Trägertier, das unbemerkt wieder in die Zucht gelangt, lässt den Prozentsatz für die Wahrscheinlichkeit wieder an den Ausgangspunkt zurückschnellen.

Aussagen wie ich sie in einem Bolonkaforum gelesen habe, dass das unerwünschte Allel nach der neunten Generation nicht mehr vorhanden ist, sind darum in keiner Weise haltbar. Sie gehen von der theoretischen Wahrscheinlichkeit aus, haben aber mit der tatsächlichen Zuchtpraxis nichts zu tun.

Mit anderen Worten: Bei einem Bolonka, der verdeckter Träger des Wildtypallels f ist, kann das Einkreuzen einer Fremdrasse beliebig viele Generationen zurück liegen. Es könnte vor vier Generationen gewesen sein, aber auch vor acht oder zwölf oder zwanzig oder ...

Darum sind vorschnelle Behauptungen, der Hund sei ein Mischling und Vorwürfe dem Züchter gegenüber nicht mehr als ein Zeugnis von Unwissenheit.

 

Das einzige Mittel, das wirksam Abhilfe schaffen kann, um zu vermeiden, dass Welpen mit unvollständigem Fell fallen können, ist die Zuchthunde zu genotypisieren. Das heißt, dass man herausfinden muss, welche Allele die Hunde tragen. Diesen Genotypen kann man dann anhand einer Erbformel für das Fell darstellen. Eine solche Erbformel kann in den Papieren der Hunde niedergelegt werden, was ermöglicht, künftig gezielte und durchdachte Anpaarungen zu tätigen.